Kolumnisten
Künstliche Intelligenz, Big Data und Automatisierung…
Nagihan Cengiz Çelebi
Die Geschäftswelt spricht weltweit längst nicht mehr nur über „Produktion“ oder „Vertrieb“ – im Zentrum aller Strategien steht die Digitalisierung.
Wo steht die Türkei in diesem Bild? Die Antwort ist nicht eindeutig. Einerseits verfügen wir über eine junge, dynamische Bevölkerung mit hoher Affinität zu digitalen Tools. Andererseits arbeiten viele unserer KMU noch immer mit traditionellen Methoden.
Ein kleines Erlebnis vor einigen Tagen verdeutlichte dieses Spannungsfeld. Zwei Bekannte riefen mich an, um sich über staatliche Förderungen zu informieren. Beide sagten dasselbe: „Ich habe auf der Website nachgeschaut, aber nichts verstanden.“ Dabei sind die Förderprogramme öffentlich, die Verfahren klar beschrieben, die Regeln eindeutig. Doch das Problem liegt auf der Hand: Amtssprache und Unternehmenssprache sprechen nicht dieselbe Sprache. Diese Diskrepanz erschwert den Zugang zu Informationen, zwingt Unternehmen zu „Notlösungen“ oder führt sie unwissentlich in falsche Bahnen.
Eine falsch verstandene Digitalisierung bringt ein weiteres Risiko mit sich: die „Berater“, die sich auf der dunklen Seite der Branche bewegen. Sie locken kleine Betriebe mit Clickbait-Versprechen, stellen Förderungen verzerrt dar oder kassieren Geld, ohne die zugesagten Leistungen zu erbringen. Das führt nicht nur zu finanziellen Verlusten, sondern untergräbt auch das Vertrauen der Unternehmen.
Doch das eigentliche Ziel ist nicht allein, Fördermittel zu erhalten. Entscheidend ist, dass diese Mittel tatsächlich zur Nachhaltigkeit des Unternehmens beitragen. Förderungen, die nicht auf institutionelle Strukturen und langfristiges Wachstum ausgerichtet sind, schaffen nicht nur Bürokratie, sie schwächen auch die Position der Türkei im globalen digitalen Wettbewerb. Unternehmen ohne Machbarkeitsstudien, ohne klare Aufgabenverteilungen oder mit Führungskräften, die Technologie nur als Kostenfaktor sehen, verlieren rasch ihre Wettbewerbsfähigkeit – und entwerten jeden möglichen Vorteil. Für Firmen, die in Krisenzeiten nur kurzfristig reagieren und keine langfristige Strategie entwickeln, gilt dasselbe.
Auch wenn unsere digitale Kompetenz noch ausbaufähig ist, liegt die Lösung auf der Hand: Die junge Generation der Türkei muss stärker in Software, künstliche Intelligenz und das Start-up-Ökosystem gelenkt werden. Wenn diese Dynamik mit einer klaren Strategie verbunden wird, kann sie unsere Position im globalen Wettbewerb entscheidend stärken.
Besonders wichtig ist auch die steigende Teilnahme von Frauen am Arbeitsmarkt. Sie verändert nicht nur Beschäftigungszahlen, sondern auch die Art und Weise, wie Geschäfte geführt werden. Analytisches Denken, Disziplin in Krisenzeiten und langfristige Planungskompetenz bringen eine neue Qualität in den Weg zur Nachhaltigkeit von Unternehmen. Aus Sicht der Geschlechtergerechtigkeit bedeutet die stärkere Präsenz von Frauen nicht nur ein quantitatives Plus, sondern einen strategischen Beitrag zu Vielfalt und Tiefe in Entscheidungsprozessen.
Es ist kein Übertreibung zu sagen, dass die türkische Geschäftswelt an einem kritischen Scheideweg steht. Eine zukunftsfähige Wirtschaft erfordert klare und zugängliche Informationen, mehr digitale Bildung, eine gemeinsame Sprache zwischen öffentlichem und privatem Sektor sowie Investitionen in institutionelle Strukturen bereits in der Gründungsphase. Andernfalls bleiben gesellschaftliche Fortschritte im Unternehmensalltag ohne Wirkung.
Der globale digitale Wettbewerb wartet auf niemanden. Die Türkei wird entweder zu den gestaltenden Akteuren dieser Transformation gehören – oder im Schatten der großen Spieler bleiben.
Die entscheidende Frage lautet: Werden wir den Wind lenken – oder uns von ihm treiben lassen?
